Workshop

des Heidelberger Arbeitskreises der Rechtslinguistik
in Kooperation mit der International Language and Law Asscication (ILLA)
Organisation: Dr. Nina Keller-Kemmerer & Prof. Dr. Friedemann Vogel
29.11.2024, 11-18 Uhr
in Räumen der Universität Heidelberg

 


Nicht selten sind sprachliche Äußerungen Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Die Fallkonstellationen sind dabei vielfältig und nicht auf ein Rechtsgebiet beschränkt. Zu denken ist etwa an Strafverfahren im Zusammenhang mit Äußerungsdelikten, wie etwa der Volksverhetzung gem. § 130 StGB, deliktsrechtliche Verfahren vor den Zivilgerichten oder auch an verwaltungsgerichtliche Verfahren, zum Beispiel im Rahmen versammlungsrechtlicher Rechtsstreitigkeiten. In all diesen Fällen müssen Gerichte über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit bestimmter Äußerungen entscheiden. Wegweisend und grundlegend für die rechtliche Bewertung ist dabei stets die Ermittlung der Bedeutung der streitgegenständlichen Äußerung, die vom Bundesverfassungsgericht als „Sinnermittlung“ bezeichnet und wie folgt beschrieben wird:


„Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird schließlich auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren.“


Der Workshop befasst sich mit eben dieser juristischen Sinnermittlung. Anhand der Analyse fachgerichtlicher Entscheidungen soll im interdisziplinären Austausch untersucht und herausgearbeitet werden, welcher Methode die Fachgerichte bei der Interpretation von Äußerungen folgen. Welches Verständnis liegt dem gerichtlichen Umgang mit Sprache zugrunde? Wie bewusst erfolgt der Prozess der Interpretation/Bedeutungsermittlung? Welche Bezeichnungen verwenden die Gerichte für diesen interpretativen Akt? Und insbesondere: Wie ist das gerichtliche Vorgehen aus linguistischer/sprachwissenschaftlicher Sicht zu beurteilen? Aufbauend auf diesen Erkenntnissen sollen sodann erste Ansätze und Ideen für sprachwissenschaftliche informierte juristische Interpretationsmethoden entwickelt werden, die dem Kommunikationsgehalt der jeweiligen Äußerung gerecht werde. Für die Untersuchung wurden die folgenden gerichtlichen Entscheidungen ausgewählt:

1.    Der Fall Xavier Naidoo (LG Regensburg, 6. Zivilkammer, Urteil vom 17.07.2018 – 62 O 1925/17; OLG Nürnberg, Urteil vom 22.10.2019 – 3 U 1523/18)
-    Zivilrechtlichen Unterlassungsklage gem. §§ 823, 1004 BGB ivm.
-    Sog. Antisemitismusvorwurf
-    Streitige Äußerung: „Ich würde ihn [Naidoo] zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.“

2.    „From the river to the sea, Palestine will be free” (VG Frankfurt a. M., 5. Kammer, Beschluss vom 01.12.2023 – 5 L 3868/23.F; VG Frankfurt a. M. (5. Kammer), Beschluss vom 21.03.2024 – 5 L 940/24.F; VGH Kassel, 8. Senat, Beschluss vom 22.03.2024 – 8 B 560/24)
-    Beschränkung einer Versammlung

3.    „Ausländer raus“ (OLG Brandenburg, Urteil vom 28. 11. 2001 - 1 Ss 52/01; OLG Hamm, Urteil vom 02.11.1994 - 4 Ss 491/94)
-    Volksverhetzung, § 130 Abs. I Nr. 1 StGB